Deutschland braucht Sonderwirtschaftszonen für Innovation

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Kurz vor der Bundestagswahl zieht unser Kolumnist Thomas Sattelberger Bilanz: Deutschland als Innovationsstandort ist ein echter Sanierungsfall. Er wünscht sich von einer künftigen Regierung daher disruptive Ideen, etwa Sonderwirtschaftszonen für Zukunftstechnologien. Dass mutige Reformen erfolgreich sein können, beweisen Spanien, Griechenland und Irland, die vor Jahren noch als wirtschaftliche „Schmuddelkinder“ galten.

Eine Kolumne von Thomas Sattelberger

Kurz vor dem Jahreswechsel veröffentlichte der Economist einen Beitrag mit dem Titel „What Spain can teach the rest of Europe“,  in welchem das renommierte Wirtschaftsmagazin zuerst Spanien gefolgt von Griechenland und Irland als Top-Performer unter den wohlhabenden Nationen identifizierte – gemessen an dem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes, der Inflationsrate, der Arbeitslosigkeit, der Fiskalpolitik und der Performance am Aktienmarkt.

Ironie der Geschichte: Von Schmuddelkindern zu Spitzenreitern           

Spanien galt 2008 als Inbegriff ökonomischen Versagens in der Todesspirale von Bankenabsturz und seiner geplatzten Bau- und Immobilien-Bubble. Griechenland war das bankrotte Schmuddelkind Europas, dem deutsche Politiker Anfang 2010 den Rat gaben, nicht nur seine Infrastruktur zu privatisieren, sondern auch seine Inseln zu verkaufen. Irland galt als eines der am stärksten gebeutelten Länder unter dem EU-Rettungsschirm mit drastischen Einschnitten sogar bei Kindergeld und Beamtengehältern.

Um die 15 Jahre später sind diese Nationen auf dem Siegertreppchen des Economist mit dem bis in jüngster Zeit geschmähten Italien dicht dahinter auf Platz 5. Deutschland dagegen landet abgeschlagen auf Platz 23, gefolgt von Slowenien, Japan, Frankreich und Ungarn. Übrigens nur einen Platz besser als der 24. Platz im World Competitiveness Ranking 2024, welches als das weltbeste Ranking angesehen wird, da es seit 1989 nicht nur die Performance, sondern auch die Zukunftsindikatoren und Enabler erfasst.

Ich nenne hier nur die Kennziffern Deutschlands, die in der hinteren Hälfte der 67 untersuchten Ländern zu finden sind: Preise (53), Steuerpolitik (62), Regulatorik für Unternehmen (38), Effizienz des Arbeitsmarktes (36), Managementpraktiken (39), Gesellschaftliche Werte, Arbeitsethik und unternehmerischer Geist (60 sic !), Grundlegende Infrastruktur (35), technologische Infrastruktur (37). 

Deutschland: Vom Champion zum Schmuddelkind  

Welche Ironie der Geschichte: Vor rund zehn Jahren stand Deutschland noch weit oben und landete auf dem sechsten Platz. Die Schröder‘schen Hartzreformen 2003 bis 2005 hatten ihre volle Wirkung entfaltetet. Doch dann folgte dieser Dekade voll positiver Wirkung die Dekade negativen Rückbaus der Reform. 

Der Abstieg Deutschlands zum „kranken Mann“ der westlichen Industrienationen, aber auch die Bedingungen seiner Sanierung und Erholung werden Schlüsselthema für 2025 und erst recht für die Jahre danach werden.

Drei Wegweisungen hierfür:   

  1. Finger weg von missratener staatlicher Technologie- und Industriepolitik  

Die Liste geplatzter technologie- und industriepolitischer Großprojekte zur Sicherung der Energiewende und des Automobilstandorts Deutschland ist ähnlich lang wie die der Fabelwesen in den Zauberbüchern Harry Potters. Sie beginnt jüngst mit dem finanziell angeschlagenen schwedischen Batteriehersteller Northvolt, der sein geplantes Werk in der schleswig-holsteinischen Heide stornierte. Die Beteiligung des Bundes und des Landes in Höhe von über 600 Millionen ist wahrscheinlich in den Sand gesetzt. Auch die mit zehn Milliarden Euro Förderung geplante Chipfabrik von Intel in Magdeburg ist tot. Ich erinnere ungern an meine Warnung vor der Nomaden-Logik globaler Konzerne in einem früheren Artikel zur Chipstrategie der Bundesregierung.

Die im Saarland geplante Chipfabrik des US-Konzerns Wolfspeed zusammen mit der ZF Friedrichshafen ist ebenso gecancelt, die Giga-Factory für Batteriefertigung des europäischen Automobilgiganten Stellantis, das grüne Stahlwerk von Arcelor Mittal in Bremen – alles Luftschlösser. Einzig die Projekte von Infineon und der taiwanesischen TSMC (unter dem deutschen Namen ESMC) in Dresden leben bisher weiter.  

Der Mythos Staat ist bei Technologie und Innovation als Rohrkrepierer geplatzt 

Die Fehleinschätzung der Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato habe ich bereits kommentiert, die staatlich initiierte US-Innovationspolitik auf unser bürokratisches deutsches Beamtenland übertragen will. Sie ist für die Grünen wie für die SPD eine Kronzeugin für einen Staat, der als Lenker, Investor und Unternehmer in Wirtschaft, Forschung, Technologie und Innovationsförderung interveniert.

Mazzucatos Ideen mögen mit innovationserprobtem US-Spirit und dortigen agilen Innovations-Architekturen funktionieren. Kommt deutsche Mentalität ins Spiel, wird ein Rohrkrepierer daraus. Wenn sich Deutschland und seine nächste Bundesregierung nicht von diesem Irrweg verabschieden, geht es weiter bergab. Was wäre ein Ausweg aus der Sackgasse?

  1. Freiheit für Innovationsökosysteme – in einer Koalition der Willigen  

 Sonderwirtschaftszonen haben in Deutschland einen schlechten Ruf. Man denkt gleich an das chinesische Shenzhen von vor 15 Jahren und die damaligen schlimmen Arbeitsbedingungen bei Foxconn oder die kluge, dann aber verteufelte Idee einer Sonderwirtschaftszone Ost des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher, des früheren Ersten Bürgermeisters Hamburgs, Klaus von Dohnányi, und des ehemaligen Superministers Wolfgang Clement.

 

Sonderwirtschaftszonen haben sich längst gemausert! 

Die internationale Debatte inklusive Umsetzung ist schneller vorangekommen als die im Schneckentempo verlaufende Veränderung im deutschen Mindset. Shenzhen ist heute einer der führenden Innovationstreiber Chinas. Polens frühere Industrieparks sind heute blühende Hightech-Regionen. Frankreich hatte mit seinem jetzt allerdings erodierenden Technologiepark Sophia Antipolis 1968 in Europa früh die Weichen gestellt. Großbritannien folgte 1981 mit seinen inzwischen rund 40 Enterprise Zones und 2014 mit University Enterprise Zones etwa in Cambridge, Leeds oder Manchester.

Mittlerweile hat die britische Regierung mehr als 20 solcher Distrikte um forschungsorientierte Universitäten herum etabliert. In beiden Zonen klotzt das Königreich mit Steuerboni, Investitionszulagen, Ansiedlungsprämien, ultraschnellem Internet und Bürokratiearmut. Dabei können auch eine Reihe staatlicher Restriktionen außer Kraft gesetzt werden, unter anderem bei Umweltrecht, Baurecht oder Arbeitsrecht.

 

Übrigens gibt es seit 2021 in dem allemal fortgeschrittenen Dänemark in der gleichen Logik den so genannten „Freiheitsversuch“ auf dem Gebiet der Bildung und Pflege, bei dem insgesamt vier Kommunen beziehungsweise Regierungsbezirke für vorerst drei Jahre von kommunalen und staatlichen Vorgaben befreit sind.

 

Innovativ-explosiver Nukleus unter Freiheitsschirm der Regierungen 

Evaluierungen im Auftrag der britischen Regierung ergaben bei Zonen im nördlichen Großbritannien, die zur Begleitung des Strukturwandels gegründet wurden, schlechte bis gemischte Ergebnisse. Bei Zonen mit dem Ziel der Förderung von Spitzentechnologien entwickelten sich dagegen Regionen mit milliardenschweren Firmen, einem rasanten Wachstum an Arbeitsplätzen und blühender Landschaft.  

Ein innovativ-explosiver Nukleus aus Spitzenforschung, Deep Tech-Gründern, Investoren, Industriepartnern, progressiver Kommunal- beziehungsweise Regionalpolitik unter dem Freiheitsschirm der damaligen Regierungen war der Beginn. Das ist etwas anderes als die seit Jahren laufende kleinteilige oder ergebnislose deutsche Debatte zu Reallaboren und Experimentierräumen. Wenn man keinen totalen Systemwechsel propagiert, aber auch nicht mehr an eine Reform der öffentlichen Verwaltung und staatlichen Bürokratie glaubt, ist das Experimentieren in Freiheitsregionen ein kluger Mittelweg. 

Diesen Satz: „Wir wollen ausgewählte Standorte als Leuchttürme unter die Spitzengruppe internationaler Forschungs- und Transferregionen mit jeweils einem inhaltlichen Schwerpunkt bringen. Dazu wollen wir Innovationsregionen nach britischem Vorbild schaffen und dafür Handlungsspielräume des nationalen wie europäischen Rechts nutzen und ausweiten“, habe ich 2021 in den Koalitionsvertrag der gescheiterten Ampel-Regierung gebracht. Welch Ironie angesichts der heutigen politischen Lage!  

Es müssen echte Freiheitsräume für Innovation entstehen

Deutschland wird sich als Innovation Nation nur dann wieder etablieren, wenn statt reformresistenter staatlicher Politik echte Freiheitsräume für Innovation entstehen. Exterritoriale Strukturen jenseits bisheriger Logik!  

  1. Nationale Reformer müssen ans Tageslicht!  

Ob Merz, Scholz oder Linnemann & Co. die Kraft haben, die Nation zu reformieren, wage ich zu bezweifeln. Vieles spricht dafür, dass erst bei der übernächsten Bundestagswahl die Zeit für tiefgreifenden Wandel reif ist. Reformgetriebene Führungspersönlichkeiten haben es mit dem Widerstand der alten Kräfte, Mächte und Eliten zu tun: Egal, ob Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Lehrerverbände, Hochschulrektoren, Fraunhofer & Co, Öko-Lobby und viele andere mehr – sie alle wollen den Status Quo, ihre Pfründe, ihre selbstzentrierten Interessenlagen, ihre Machtstellung verteidigen oder gar ausbauen.

Das gilt erst recht für Mandatsträger und politische Funktionärsapparate. Eine der politischen Parteien hat eine besondere Gabe, Reformer wie Helmut Schmidt, Gerhard Schröder oder Wolfgang Clement wegen dieser Reformen zu diskreditieren oder davon zu jagen.  

Innovating Innovation:  

  1. Mir ist wegen eines Mangels an geeignetem Führungspersonal für die „Recovery of Germany“ nicht bange. Krisen gebären – allerdings nur, wenn Rechtsextreme keine Chance bekommen – oft unerwartete oder auch unkonventionelle Führungspersönlichkeiten: Ein früherer Komödiant Selenskyj als aufrechter Kriegspräsident der Ukraine, der frühere linke Chef der Schauspieler-Gewerkschaft und spätere Hollywood-Star Ronald Reagan, später US-Präsident der ‘Reaganomics’, Margaret Thatcher, Tochter eines Kolonialwarenhändlers in der Provinz und Hinterbänklerin, war klassischer Parvenü. Als Premierministerin war sie als „Iron Lady“ Idol und Hassfigur zugleich und verschrieb Großbritannien, dem damals am Boden liegenden kranken Mann Europas, eine neoliberale Rosskur. Auch Kyriakos Mitsotakis, der Reform-Ministerpräsident Griechenlands gehört in diese Reihe. Und sicher auch Gerhard Schröder.

Temporäre Führung: Halbwertszeit von Reformern ist relativ kurz

  1. Nationale Reformer dürfen nicht an der Macht kleben. Wahrscheinlich ist ihre Abwahl nach getanem Werk fast zwangsläufig. Insofern wäre „Temporäre Führung“, das heißt die Begrenzung von Amtsdauern für Regierungschefs und Minister auf zwei Legislaturperioden, fast eine Erleichterung.

  1. Politische Reformer zeichnen sich durch außerordentliche Führungskompetenz aus. Selbst Tony Blair, ehemaliger Labour-Premierminister, hat Thatchers Entschlossenheit und Führungsstärke anerkannt und zugegeben, dass etliche ihrer wirtschaftlichen Reformen notwendig waren, um die britische Wirtschaft zu modernisieren. Nationale Sanierer und Reformer begreifen sich eben mit Mut, Ideen und Optimismus als Startup-Unternehmer für ihr Land. Ob das schon ab 2025 der Fall sein wird oder ob es zuerst schlimmer wird, bevor es besser wird, ich weiß es nicht. Ich kann nur hoffen!

Thomas Sattelberger

war nach Stationen bei Daimler-Benz, Lufthansa und Continental von 2007 bis 2012 im Vorstand der Deutschen Telekom als Personalvorstand tätig. Von 2017 bis 2022 saß er für die FDP im Deutschen Bundestag und war zuletzt auch Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung.

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